„Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt. Mentalitäten und Interessensgegensätze im Streit um Transformation“ Bucherscheinung und Buchvorstellung | 17. Juli 2024

Das Buch „Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt. Mentalitäten und Interessensgegensätze im Streit um Transformation“ von Dennis Eversberg, Martin Fritz, Matthias Schmelzer und Linda von Faber ist am 17. Juli 2024 im Campus Verlag erschienen.

Interviews und Rezensionen

  1. Dennis Eversberg im Interview mit Claus-Jürgen Göpfert in der Frankfurter Rundschau
    https://www.fr.de/politik/luxus-muss-beschraenkt-werden-93177604.html
  2. Rezensiert von Claudia Detsch im IPG Journal (Internationale Politik und Gesellschaft / Friedrich-Ebert-Stiftung)
    https://www.ipg-journal.de/aus-meinem-buecherschrank/artikel/haeuslebauer-sucht-wutbuergerin-7791/
  3. Buchvorstellung von Nina Apin in der taz
    https://taz.de/Buch-ueber-Konflikte-in-der-Gesellschaft/!6033095/
  4. Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer auf socialnet
    https://www.socialnet.de/rezensionen/32382.php



Buchvorstellung

Im Vorfeld, nämlich am 10. Juli 2024, wurde das Buch in der Autorenbuchhandlung Marx & Co in Frankfurt am Main vorgestellt und diskutiert. 

Foto: flumen

Im Gespräch mit der emeritierten Professorin für Arbeits- und Organisationssoziologie von der Goethe-Universität Frankfurt, Birgit Blättel-Mink, stellten die anwesenden Autoren Dennis Eversberg und Martin Fritz zunächst das Forschungsprojekt „flumen“ und seinen Ansatz vor, aus dem das Buch entstanden ist. Im Zuge der quantitativen Arbeit im Projekt wurden 2020/21 in einer repräsentativen Umfrage knapp 4 000 Menschen in Deutschland zu ihren sozial-ökologischen Haltungen, ihrer sozio-ökonomischen Situation und ihrer Lebensweise befragt. Die Auswertung und Deutung der Umfrageergebnisse bilden die inhaltliche Grundlage des Buchs und führen zu dessen Kernaussage, die sich im Titel „Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt. Mentalitäten und Interessensgegensätze im Streit um Transformation“ wiederfindet. In dem Zusammenhang fragte Birgit Blättel-Mink, warum die Autor:innen die aus den Umfrageergebnissen attestierte konflikthafte Auseinandersetzung um das Ob und Wie einer sozial-ökologischen Transformation in der deutschen Bevölkerung als einen Klassenkonflikt beschreiben. Die Autoren erläuterten, ihnen gehe es nicht um einen Klassenbegriff, bei dem man fest bestimmbare Gruppen bzw. Klassen mit einem „Klassenbewusstsein“ im Sinn hätte. Vielmehr gehe es ihnen darum, auf dynamische konflikthafte Klassenverhältnisse hinzuweisen, die hinter den Spannungen und Konflikten um sozial-ökologische Transformation stünden. Das heißt zum einen, dass sich laut den Umfrageergebnissen soziale Gruppen in ihren grundlegenden Haltungen und Einstellungen zu sozial-ökologischen Fragen konflikthaft, teils scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen. Die Einstellungsnähen, -gegensätze und -distanzen korrespondierten dabei teils stark mit den jeweiligen Nähen und Distanzen der sozialen Stellungen und der damit verbundenen Interessen der Menschen und hätten demnach einen klassenhaften Charakter. Es geht bei dem Begriff des sozial-ökologischen Klassenkonfliktes aber auch darum, aufzuzeigen, dass sich die derzeitigen gesellschaftlichen Antagonismen und strukturellen Konflikte, die sich im Konfliktfeld sozial-ökologische Transformation verdeutlichen, aus der Logik moderner, kapitalistischer steigerungsorientierter Vergesellschaftungsprozesse ergeben.

Des Weiteren führten die Autoren zwei weitere Aussagen des Buchs aus.

Foto: flumen

Zum einen, dass die Ergebnisse der Umfrage, die ja vor knapp drei Jahren erhoben wurde, bereits andeuten, was uns die letzten Europawahlen und die jüngsten parteipolitischen Positionierungen immer deutlicher vor Augen führen: in der deutschen Gesellschaft bildet sich eine Abwehrfront gegen sozial-ökologische Transformation. Diese Einschätzung widerspricht prominenten Deutungen in der deutschen Öffentlichkeit, die einen weitgehenden Konsens in der Notwendigkeit einer bioökonomischen und sozial-ökologischen Transformation ausmachen. Der Aufbau einer Abwehrfront wird laut den Studienergebnissen von flumen in der Dreiecksbeziehung von drei Mentalitätsspektren deutlich, bei der sich je spezifische sozial-ökologische Mentalitäten und Interessen sich mal gegenüberstehen, mal „koalieren“. Die defensiv-reaktiven und konservativ-steigerungsorientierten Mentalitätsspektren mit ihren veränderungsaversen bzw. „Weiter-So“-Haltungen nähern sich in ihrer Ablehnung der sozial-ökologischen Transformation einander tendenziell an. Während das pro-transformativ eingestellte sozial-ökologische Mentalitätsspektrum immer weiter fragmentiert. Damit nehmen sozial-ökologische Haltungen an Bedeutung ab. Die Verfestigung dieser Tendenz zeichnet Dennis Eversberg in seiner Einordnung der Europawahl nach, nachlesbar in den beiden Artikeln Die Europawahl und der Wachstumskonflikt (I) und Die Europawahl und der Wachstumskonflikt (II)

Der attestierte sozial-ökologische Klassenkonflikt fächert sich, so eine weitere zentrale Erkenntnis des Buches, in vier Konfliktdimensionen auf.

Bei der einen Konfliktdimension, dem Abstraktionskonflikt, geht es um den Konflikt um abstrakte Vergesellschaftung. Hier stehen sich Teile der Bevölkerung, die nutznießerisch und gestaltend in Vergesellschaftungsprozesse wie der sozial-ökologischen Transformation (aber auch bspw. der Globalisierung, Digitalisierung oder fortschreitenden Technologisierung) eingebunden sind, mit deren Komplexität und Abstraktheit umzugehen verstehen und über ihre hohe Macht-Einfluss-, Gestaltungs- und Wirtschaftsressourcen diese Prozesse bedienen und am Laufen halten können und möchten, denjenigen Teilen der Bevölkerung gegenüber, die weniger mächtig eingebunden sind und sich im Prozess expansiver gesellschaftlicher Entwicklungen ungehört, vernachlässigt, überfordert, unwirksam und entfremdet fühlen und dementsprechend als abstrakt wahrgenommene Forderungen nach Wandel (wie die nach sozial-ökologischer Transformation) ablehnen. Die gesellschaftlichen Stellungen bzw. Eingebundenheit in Vergesellschaftungsprozesse bedingen also einen Gegensatz zwischen den besser gestellten Ökosozialen und Konservativ-Steigerungsorientierten auf der einen Seite und den schlechter gestellten Teilen der Bevölkerung mit defensiv-reaktiven bzw. konservativ-steigerungsorientierten Mentalitäten auf der anderen Seite. Interessant an dem Konflikt ist, dass die hinter dem Abstraktionskonflikt liegende Ungleichverteilung von Macht, Einfluss, aber auch Klimaschädigung (Reichere verursachen durchschnittlich mehr Umweltschäden, sind weniger betroffen von ihnen und können sich Klimaschutz eher leisten) nicht in einer öffentlich debattierten Forderung nach (Um)Verteilung mündet, sondern in einem Entfremdungsverhältnis: Transformationsgegner ziehen sich aus der ‚Gesellschaft‘ ins Private zurück oder grenzen sich in teils wütender, demokratiefeindlicher Art von „Denen-abgehobenen-dort-oben“ ab.

In der zweiten Dimension, dem Lebensweisekonflikt, überschneidet sich der Konflikt um private versus öffentliche Interessen mit einem Mentalitätskonflikt zwischen ökosozialen und konservativ-steigerungsorientierten Mentalitäten. Der Interessenkonflikt ist dabei stark bestimmt von der vorhandenen oder fehlenden Abhängigkeit von bzw. Eingebundenheit in eigentumsbasierte Strukturen: wer ein Auto für seine Arbeit oder seinen sozialen Status braucht, hält in der Regel an autofreundlichen Interessen fest. Wer in der Privatwirtschaft tätig ist, vertritt tendenziell eher Partikularinteressen und befürwortet soziale und ökologische Maßnahmen nur bis zu dem Punkt, wo privat-eigentumsbasierte Interessen nicht angetastet werden. Im Gegensatz zu denen, die in öffentliche Strukturen eingebunden sind: So sprechen sich diejenigen, die zwar vielleicht ein Auto besitzen, aber im Beruf und im Alltag stärker von öffentlichen Strukturen abhängig sind (bspw. Personen, die in Städten wohnen und/oder im Sektor Bildung, Pflege oder Gesundheit arbeiten), eher für die Förderung öffentlicher Strukturen und damit für eine Verteilung von Privat zu Öffentlich aus und befürworten deutlich Maßnahmen zugunsten sozialer und ökologischer Verbesserungen.

In der dritten Konfliktdimension, dem Veränderungskonflikt, stehen sich besser situierte Ökosoziale, die beispielsweise Preissteigerungen und Jobverluste in fossil geprägten Bereichen für notwendig und hinnehmbar halten, den schlechter situierten KOnservativ-Steigerungsorientierten und Defensiv-Reaktiven gegenüber, die jegliche Kosten- und Lastenzunahme durch sozial-ökologische Maßnahmen und damit generell die Notwendigkeit und Tiefe von Transformation ablehnen. In diesem Konflikt verschränken sich die vorher genannten zwei Dimensionen, denn es geht auch hier um Macht und Ohnmacht bzw. um Verteilungsinteressen in wachstumsgeprägten Gesellschaften. Viele Akteure, die öffentliche Debatten um sozial-ökologische Transformation führen, betonen diese Konfliktdimension jedoch zu einseitig und richten somit die öffentliche Aufmerksamkeit bewusst oder unbewusst auf die „abgehobenen städtischen grünen Bildungseliten“, die den „einfachen Leuten“ gegenüberstünden. Diese Engführung der Debatte lenkt aber von den anderen Konfliktdimensionen und den daraus ableitbaren politischen Forderungen ab; Beispielsweise davon, dass eine wirkungsvolle soziale Verträglichkeit von klimapolitischen Maßnahmen vor allem dadurch behindert wird, dass einflussreiche und gut situierte Konservativ-Steigerungsorientierte an einem Weiter-So festhalten, weil sie wachstumsfokussierte Strategien und das Interesse verfolgen, Privateigentum und seine gegenwärtige Verteilung zu verteidigen.

Diese drei Konflikte können aufgrund einer Überschneidung von Mentalität und Interesse als manifeste Konflikte verstanden werden.

Die vierte Konfliktdimension ist über den Externalisierungskonflikt zu beschreiben. Hier geht es im Wesentlichen um den Gegensatz zwischen den Macht- und Wirtschaftseliten, die dem konservativ-steigerungsorientierten Mentalitätsspektrum zugeordnet werden können und die auf Grund ihrer sozialen Lage Kosten und Lasten eines „Weiter-So“ externalisieren können, und den in prekären Verhältnissen lebenden und oft Sorgetätigkeiten vollbringenden Menschen, die diese Kosten und Lasten internalisieren. Aus diesen Lagen heraus entsteht aber kein Interessenkonflikt, der sich beispielsweise um Klima- und Umweltgerechtigkeit oder der Aufwertung von Sorgetätigkeiten drehen würde. Zudem können diese beschriebenen Internalisierenden keinem Mentalitätsspektrum zugeordnet werden. Anders gesagt: die Internalisierenden können nicht als eine soziale Gruppe mit ähnlichen Mentalitäten und politischen Forderungen gefasst werden.

Publikumsfragen bezogen sich dann auf die Veränderbarkeit der Mentalitäten im zeitlichen Verlauf sowie auf die parteipolitische Verortung von Mentalitäten, die nicht zuletzt wegen den jüngsten Veränderungen der bundesdeutschen Parteienlandschaft interessant waren. Hierbei ist auf die nicht im Buch enthaltene Wiederholungsbefragung zu verweisen, die bei flumen gerade ausgewertet wird, und erste Hinweise auf die Veränderungen von Mentalitäten im krisenhaften Verlauf der letzten zwei Jahre wird geben können. Daneben bestand auch ein großes Interesse an den auch im Buch enthaltenen Policy-Vorschlägen von flumen. Neben einer Stärkung öffentlicher Infrastrukturen, die einen nachhaltigen Lebensstil im Alltag möglich machen, sind dies eine Erweiterung der demokratischen Partizipation, was auch die ökonomischen Verhältnisse im Rahmen einer Wirtschaftsdemokratie miteinschließt, und insgesamt eine Politik der Suffizienz, die das Gute Leben für die vielen statt eines für die wenigen ermöglicht. Besondere Aufmerksamkeit erhielt der schon angedeutete, bisher nur latente sozial-ökologische Externalisierungskonflikt als Klassenkonflikt, wobei hierbei insbesondere die Frage einer Internalisierung von diesem in die politische Auseinandersetzung mit dem Ziel der Etablierung einer gesamtgesellschaftlichen Politik der Internalisierung und die Schwierigkeiten hierbei im Vordergrund standen.

Wer sich selbst ein Bild von diesen Erkenntnissen von flumen verschaffen will, kann dies in Kurzform oder in Langform tun. Interessierte an einem umfassenden Überblick zur Arbeit von flumen in den letzten fünf Jahren seien auf das voraussichtlich im Herbst 2025 bei Campus erscheinenden Abschlussbuches von flumen verwiesen, welches einen Überblick über die unterschiedlichen Ergebnisse von flumen liefern wird.