Im Rahmen der Konferenz „Great Transformation“ in Jena wurden unter dem Stichwort „Postfossile Wirtschaft – Postfossile Gesellschaft“ drängende Fragen nach Transformationen im Strom- und Wärmesektor, im Bereich des Verkehrs und der Bioökonomie mit Theoretiker*innen und Praktiker*innen diskutiert. Die Autorinnen geben Einblicke in die Debatten und gewähren Ausblicke auf ein komplexes Thema der sozial-ökologischen Transformation.
Teil I: Konturen des Sozialen nach Kohle und Öl
Der erste Teil des Doppel-Panels „Postfossile Wirtschaft – Postfossile Gesellschaft“ stieg mit der recht ernüchternden Feststellung ein, dass sich die Energiebasis in den nächsten 15 Jahren von fossilen hin zu erneuerbaren Energieträgern wandeln muss – und dass damit eine starke Reduktion des Energieverbrauchs verbunden sein wird. Um die Tiefe, Breite und Gesamtheit dieser Transformationsprozesse zu verdeutlichen, öffneten Inputs zu einer historischen Perspektive auf die Nutzung elektrischen Lichts, aktuellen Widerständen gegen den Ausbau der Windenergie in Deutschland und die Komplexität von Antriebs-, Verkehrs- und Mobilitätswende ein breites Themenspektrum.
Michaela Christ von der Europa Universität Flensburg zeichnete die Geschichte der künstlichen Beleuchtung nach und fragte, was die letzte Energietransformation hervorbrachte, ermöglichte, aber auch verdrängte. Dabei stellte sie fest, dass in der vorfossilen Zeit die Möglichkeiten der künstlichen Beleuchtung sehr beschränkt waren und somit der Tages- und Nachtablauf stark davon geprägt war, wie viel Licht zur Verfügung stand: viele Aktivitäten konnten nur zu einer bestimmten (Tages)Zeit gemacht werden, erst im fossilen Zeitalter etablierte sich demgegenüber die Prämisse, dass alles zu jeder Zeit gemacht werden kann, soll und wird. Das künstliche Licht ermöglichte es, auch die dunklen Stunden verfügbar zu machen.
Fazit 1: Mit einer energetischen Transformation wird sich auch das Motto „alles zu jeder Zeit“ ändern müssen.
Die Erzeugung von Energie wurde durch die Förderung unterirdisch liegender Energieträger aus der sichtbaren Landschaft ausgelagert. Dadurch, dass die Energiedichte bei erneuerbaren Energien deutlich niedriger ist, d. h. dass mehr Fläche pro Energieeinheit benötigt wird, stehen starke Veränderungen der Landschaft bevor und sind teils jetzt schon im Gange. Eva Eichenauer vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung stellte die hiermit verbundenen Herausforderungen am Beispiel des Ausbaus der Windkraft an Land als Säule der erneuerbaren Energien vor. Dieser geht in Deutschland aktuell allerdings rapide zurück, was auch an massivem Widerstand aus der lokalen Bevölkerung liegt: Viele Bürger*inneninitiativen beklagen neu geplante Windkraftanlagen, wodurch die Genehmigungsdauer deutlich verlängert wird.
Fazit 2: Die Auseinandersetzungen und Kämpfe werden (auch) lokal geführt (werden müssen).
Tobias Haas von der Freien Universität Berlin ergänzte die energetische und elektronische Perspektive um den Verkehr: Auch am Beispiel des Verkehrs lässt sich zeigen, dass die weitreichenden Veränderungen, die notwendig wären, auf große Widerstände stoßen. Während eine Mobilitätswende unabdingbar wäre, welche danach fragt, wer sich wann, warum und wie bewegt und ob sich daran etwas ändern lässt, halten breite Teile der Bevölkerung, der Industrie und Politik mehr oder weniger am Status quo des Autos fest. Wenn überhaupt, wird eine Antriebswende angestrebt, bzw. zumeist weist alleine die Rhetorik auf ein solches Bestreben hin.
Fazit 3: Einzelne umweltschädliche Praktiken sind in komplexe materielle und mentale Infrastrukturen eingebettet – erfolgreiche Transformationen müssen die Verflechtungen dieser beachten.
Fazit aus der ersten Sitzung: Auf allen drei Ebenen – elektrisches Licht, erneuerbare Energien, Verkehr – sollte die Diskussion über eine sozial-ökologische Transformation eng an Gerechtigkeitsfragen gekoppelt sein. Nur dann kann Widerständen begegnet oder ihrem Aufkommen entgegengewirkt werden. Eine Energietransition ist also nicht nur eine Frage ökologischer Transformation, die In- und Outputs reguliert, sie steht auch vor sozialen Herausforderungen, denen sie gerecht werden muss.
Teil II: Zivilgesellschaftliche Praxen für eine Transformation des Energiesystems
Im zweiten Teil der Doppelsession drehte sich die Diskussion um die Perspektiven und Praxen von Akteur*innen, die in Deutschland an der Abkehr vom fossilen Energieregime mitwirken, um so einen Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu fördern. Denn wie der Übergang zu einer post-fossilen Gesellschaft aussehen wird und welche gesellschaftlichen Ein- und Ausschlüsse damit verbunden sind, zeigt sich in den konkreten Auseinandersetzungen innerhalb gegebener sozialer und politischer Strukturen.
Gegenwärtig ist in Deutschland der Kohleausstieg ein wichtiger Meilenstein, um CO2 -Emissionen drastisch zu senken, sowie um die Weichen für einen Ausbau erneuerbarer und biobasierter Energien zu stellen. Jutta Schnütgen-Weber vom Zivilgesellschaftlichen Koordinierungskreis Strukturwandel sprach über die Revierperspektiven für das Rheinland: Es gehe darum, Perspektiven für ein „gutes Leben und gute Arbeit“ für alle gemeinsam mit Verbänden und Organisationen, wie etwa aus dem Kreis der Kirchen, und den Bewohner*innen der betroffenen Regionen zu entwickeln. Man könne nicht auf politische Entscheidungen warten. Dazu gehören die Frage nach zukünftigen Arbeitsperspektiven ebenso wie die weitere Entwicklung des ländlichen Raums und der Erhalt des Naturraumes, die Mobilitätsfrage, eine Bildung für nachhaltige Entwicklung, sowie die weitere Vereinbarkeit zwischen Gewerbe, Wohnen und Industrie in der Region. Proteste wie im Hambacher Forst ergänzten sich mit den Politikformen der institutionalisierten Zivilgesellschaft.
Ani Fuchs berichtete von den Klimacamps der letzten Jahre. Dort wurde nicht nur gegen Braunkohleabbau protestiert, sondern sich umfassend mit Themen von erneuerbaren Energien und einem gesellschaftlichen Wandel hin zu einem postfossilen Zeitalter in Verbindung mit Fragen rund um den Abbau sozialer Ungleichheiten befasst. Hierzu gehört die Nutzung der Klimacamps als Mikro-Raum, in dem alternative Formen des Zusammenlebens ausprobiert werden dürfen. Die Reflektion von Ungleichheiten aufgrund von race oder gender im Camp-Alltag sei hierbei ebenso notwendig wie die Auseinandersetzung mit dem eigenen Energieverbrauch und die damit verbundenen Versuche, den gemeinsamen Verbrauch demokratisch zu regulieren, so Ani Fuchs. Ein Grundpfeiler des diesjährigen Klimacamps im Leipziger Land sei die Einbindung des Camps in lokale Dorfstrukturen gewesen, so wurde u. a. ein Dorffest gemeinsam mit den verbliebenen Dorfbewohner*innen organisiert.
Peter Perschke, langjähriger Bürgermeister des Bioenergiedorfes Schlöben in der Nähe von Jena, plädierte dafür, die Energiewende, und damit auch den Übergang zum postfossilen Zeitalter, selber zu machen. Der Schlüssel liege im Fall Schlöben, so Perschke, darin, sich ein Projekt wie die Gründung einer Bioenergiegenossenschaft vorzunehmen und auch gegen Schwierigkeiten umzusetzen. Das erfordere viel Arbeit und einen klaren Plan, worauf das Projekt abziele, lohne sich aber nichtsdestotrotz langfristig. Perschke betonte, dass auch das Vertrauen skeptischer Bewohner*innen wichtig sei, und er und seine Mitstreitenden einiges an Überzeugungsarbeit hätten leisten müssen.
Fazit aus der zweiten Sitzung: In der Diskussion waren sich Vortragende wie Teilnehmende einig, dass es praktische Beispiele, die auch erfolgreich seien, brauche, um die Transformation in eine postfossile Gesellschaft zu bewältigen. Hierfür braucht es Räume, in denen verschiedene betroffene und engagierte Menschen zusammen an Lösungsstrategien arbeiten können ebenso wie die gemeinsame Auseinandersetzung über dystopische und utopische Visionen, die eine post-fossile Gesellschaft beinhaltet und die potentiellen Konflikte, die mit einer solchen Transformation einhergehen (werden oder können). Für alle Vortragenden waren lokale (zivil-)gesellschaftliche Praxen dabei elementar.