Angriffe auf (grüne) Politiker:innen, Bauernproteste, Demonstrationen für Demokratie, Erstarken der AfD, Energie- und Haushaltskrise, sich auf Kriegstüchtigkeit zuwendende Sicherheitspolitik – uns wird immer deutlicher vor Augen geführt, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben. Vor Corona, also zu den Hochzeiten der Klimabewegung, überwog der Eindruck, ein Umbruch könnte eine sozial-ökologische Transformation hin zu einer klimafreundlichen und sozial gerechteren Zukunft bedeuten. Heute ist der Wandel mit großen Unsicherheiten verbunden. Wird Wandel im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation überhaupt noch möglich sein? Wie lassen sich gesellschaftlichen Spannungen angesichts der heutigen krisenhaften sozialen, politischen und ökologischen Herausforderungen deuten?
Flumen liefert soziologisch fundierte Erklärungen für die gesellschaftliche Konflikthaftigkeit und Möglichkeiten des (Nicht-)Gelingens einer sozial-ökologischen Transformation. In einer deutschlandweiten repräsentativen ‚BioMentalitäten‘-Umfrage hat sie 4.000 Menschen zu ihren Mentalitäten, also ihren Einstellungen, Sichtweisen und Gefühlslagen bezüglich gesellschaftlich-ökologischem Wandel sowie zu ihren Alltagsgewohnheiten und sozio-ökonomischer Situation befragt. Anhand der Umfragedaten untersuchten Forscher:innen von flumen mentale und sozialstrukturellen Gegensätze innerhalb der deutschen Gesellschaft, die die gegenwärtigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die sozial-ökologische Transformation kennzeichnen.
Der hier vorgestellte Forschungsbericht fasst die wesentlichen Auswertungsergebnisse zusammen. Darüber hinaus ist eine Buchveröffentlichung im Campus Verlag für den Sommer 2024 geplant. Im Buch erhalten die Leser:innen detailliertere Ausführungen, beispielsweise zur Verortung der flumen-Studie in die Deutungslandschaft anderer empirischer Studien zu sozial-ökologischer Transformation als Konfliktfeld, zum Inhalt und zur Methodik der flumen-Umfrage, zum Analyseverfahren bei der Auswertung der Daten und zu den verschiedenen Deutungsergebnissen.
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Einstellungen der Menschen in den Fragen, ob, wie schnell und in welcher Form eine sozial-ökologische Transformation notwendig sei, teils eklatant auseinandergehen – und dass diese Meinungen tendenziell mit den sozialen Lagen der Menschen und den damit verbundenen Interessen zusammenhängen. Dies deuten die Autor:innen als einen neuen sozial-ökologischen Klassenkonflikt.
Es wird deutlich, dass es sich nicht einfach um eine gesellschaftliche Spaltung zwischen Gegnern und Befürwortern einer sozial-ökologischen Transformation handelt. Es ist zudem auch kein grundsätzlicher gesellschaftlicher Konsens erkennbar, bei dem eine Mehrheit in der deutschen Bevölkerung der Notwendigkeit einer Transformation grundsätzlich zustimmt und anderslautende Einstellungen eher von Minderheit geäußert würden. Entlang mehrerer Konfliktdimensionen stehen sich in der deutschen Gesellschaft vielmehr zehn Mentalitäten mit je spezifischen sozialen Lagen und daran anknüpfenden Interessen gegenüber. Sie können zu drei Mentalitätsspektren zusammengefasst werden: das ökosoziale Spektrum, das zügige und entschlossene Transformation fordert, das konservativ-steigerungsorientierte Spektrum, das die gewohnte, auf Wachstum fixierte Lebens- und Wirtschaftsweise gegenüber Veränderung verteidigt, und das defensiv-reaktive Spektrum, das geprägt ist von Resignation und Rückzug bis hin zu wütender Abwehr gegen ‘grüne’ und transformative Initiativen.
Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt als mehrdimensionaler Konflikt wird entlang von mentalen wie sozialstrukturellen Gegensätzen beschrieben, und es werden vier solche Konfliktlinien unterschieden: der Abstraktionskonflikt zwischen ‚Oben‘ und ‚Unten‘, in dem große Teile der Bevölkerung vor allem im unteren Sozialraum sich von gesellschaftlichen Steigerungserwartungen und beschleunigten Veränderungsprozessen überfordert und darüber von ‚der Gesellschaft‘ überhaupt entfremdet sehen, was Ressentiments und regressive Abwehrbewegungen gegen „die da Oben“ hervortreibt; der Lebensweisekonflikt zwischen privaten Eigentumsinteressen und Bedarfen an öffentlichen, geteilten Infrastrukturen der alltäglichen Bedürfnisbefriedigung; der Veränderungskonflikt um das Ob, die Reichweite, die Kosten und Lasten der Transformation; und schließlich der Externalisierungskonflikt um die Kostenauslagerung der bisherigen fossilen Lebensweise.
Abschließend werden Gefahren und Chancen dieser Konfliktlage skizziert und mögliche Elemente einer dafür sensibilisierten Transformationspolitik vorgeschlagen.
Eversberg, Dennis / Fritz, Martin / von Faber, Linda / Schmelzer, Matthias (2024): Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt: Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation. Forschungsbericht der BMBF-Nachwuchsgruppe „Mentalitäten im Fluss (flumen)“, Jena. Friedrich-Schiller-Universität, Institut für Soziologie, Jena. https://doi.org/10.22032/dbt.59592